Interview in English + Audiofile: VR41: Museum talk on painting

HALSEY STEVENS: Die Musik, die wir heute hören, wurde von einem Mann geschaffen, der einen weltweiten Einfluß auf das musikalische Denken ausübt, beginnend mit Verklärte Nacht bis zu jüngsten Werken. Schönbergs Musik hat viele Diskussionen und Kontroversen hervorgerufen. Die vergangenen Jahre lebte und unterrichtete er in Südkalifornien, und wir haben das Privileg, heute einige seiner frühesten und jüngsten Werke zu hören. Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß Herr Schönberg außer Komponist auch Maler ist, und ich denke, es ist besonders passend, seine Musik in der Atmosphäre eines Kunstmuseums aufzuführen. Herr Schönberg, war nicht ursprünglich beabsichtigt, einige Ihrer Bilder auszustellen und zugleich Musik von Ihnen zu spielen?

ARNOLD SCHÖNBERG: Ja, das stimmt. Aber ich muß etwas richtigstellen: Ich war vielleicht ein Maler, aber ich bin keiner mehr. Ich habe viele, viele Jahre – zumindest zwei oder drei Jahrzehnte – nicht gemalt. Ich hatte aber den ganzen Nachmittag das Gefühl, daß Sie mich nach meinen Bildern fragen könnten, und daß ich über diese sprechen müsse. Daher lasse ich ein wenig meine Improvisationsgabe spielen. Als ich über dieses Thema nachdachte – oder weil alle meine Gedanken um dieses Thema kreisten –‚ habe ich mir vorgenommen Ihnen zu erzählen, was mir das Malen bedeutet. In der Tat war es für mich dasselbe wie komponieren. Es gab mir die Möglichkeit, mich auszudrücken, meine Emotionen, Ideen und Gefühle mitzuteilen; das ist vielleicht der Schlüssel, diese Bilder zu verstehen – oder auch nicht. Sie hätten wahrscheinlich dasselbe Schicksal erlitten wie ich; sie wären attackiert und beschimpft worden und ich weiß nicht was noch alles: Ich meine, dasselbe würde mit ihnen geschehen, was mit meinen Kompositionen passiert ist. Diese, meine ich, versteht man, oder nicht. Wie ich schon gesagt habe, drückte ich mich genauso aus wie in der Musik. Ich konnte meine Gefühle oder Emotionen nie besonders gut in Worte fassen. Ich weiß nicht, ob das die Ursache dafür ist, daß ich das eben mit Musik und Malerei zu tun versucht habe. Oder umgekehrt: Da ich über diese Ausdrucksmittel verfügte, konnte ich auf Worte verzichten. Beantwortet das Einiges Ihrer Frage?

HALSEY STEVENS: Ja, allerdings. Herr Schönberg, ich frage mich, ob sich Ihnen in der Malerei und der Musik dieselben Probleme gestellt haben, abgesehen natürlich von den technischen Unterschieden?

ARNOLD SCHÖNBERG: Das ist eine sehr gute Frage. Ich muß sagen, daß ich als Maler absolut ein Amateur war; ich hatte keine theoretische sowie nur geringe ästhetische Ausbildung, und auch die nur in der Schule und nicht durch ein Studium der Malerei. In der Musik war das anders. Ich war zwar auch ein – was ist »self-made«? – ein Autodidakt, hatte aber immer die Möglichkeit, die Werke der großen Meister zu studieren, und zwar in einer professionellen Art und Weise, sodaß sich meine technischen Fähigkeiten normal entwickeln konnten. Das ist der Unterschied zwischen meiner Malerei und meiner Musik.

HALSEY STEVENS: Angenommen, Sie hätten den Beruf des Malers weiterverfolgt: Haben Sie das Gefühl, sie wären auf ähnliche Probleme gestossen? Sie haben bereits die Ansicht geäußert, daß Ihr malerisches Werk dieselbe Rezeption, dieselbe Provokation und gelegentlich dieselbe Ablehnung wie Ihre Musik hervorgerufen hätte. Aber haben Sie das Gefühl, daß sich eine Karriere des Malers Schönberg genauso entwickelt hätte wie jene des Komponisten?

ARNOLD SCHÖNBERG: Ja, ich bin sicher, das wäre so gewesen. Ich muß sagen, daß ich zumindest damals eine gewisse Begabung hatte, aber ich fürchte, sie teilweise verloren zu haben. Ich hatte z. B. einen guten Sinn für Proportionen, Raumproportionen und Maße. Ich konnte eine Linie ziemlich genau in, sagen wir, drei, vier, fünf, sechs, sieben, ja sogar elf Teile teilen, und sie waren fast ganz exakt. Ich hatte auch ein gutes Gefühl für viele andere Maße. Zu dieser Zeit konnte ich einen Kreis zeichnen, der nur wenig Abweichung zeigte, wenn man ihn mit einem Zirkel überprüfte. Ich konnte wirklich gut zeichnen, aber ich denke, ich habe diese Fähigkeit verloren. Ich bin der Ansicht, daß dieser Sinn für Größenordnungen eine der Fähigkeiten eines Komponisten, eines Künstlers ist. Dies ist wahrscheinlich die Basis für eine Ausgewogenheit und innere Logik, wenn man ein zuverlässiges Gefühl für Größen und Proportionen hat.

HALSEY STEVENS: Sicher ist das Gefühl für Proportionen, das Sie meinen, sehr wichtig für die Musik, das haben Sie ja sehr eingehend in Ihren eigenen Werken gezeigt. Es gibt heute kaum einen bedeutenden Komponisten, der nicht in gewisser Weise von Ihren musikalischen Entdeckungen beeinflußt wäre. Haben Sie das Gefühl, daß jene Kompositionstechnik, die Sie entwickelt haben, mit der Zeit mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird?

ARNOLD SCHÖNBERG: Ich glaube schon – es gibt eine Möglichkeit, etwas von meinen technischen Errungenschaften zu lernen. Aber noch besser ist es, glaube ich, auf jene Komponisten zurückzugreifen, denen auch ich viele Erkenntnisse verdanke: damit meine ich Mozart, Beethoven, Brahms und Bach. Man kann wirklich sagen, daß ich Mozart sehr, sehr viel verdanke; und wenn man sich ansieht, wie z. B. meine Streichquartette gebaut sind, dann kann man nicht leugnen, daß ich das direkt von Mozart gelernt habe. Und ich bin stolz darauf!

HALSEY STEVENS: Das heißt, Ihr Rat an junge Komponisten ist, Herr Schönberg, die Grundlagen bei denselben Komponisten zu suchen.

ARNOLD SCHÖNBERG: Ja, ja, ja. Natürlich kann man sie nicht einfach direkt imitieren; man muß die Essenz begreifen, die eigenen Ideen mit den ihren zusammenführen und daraus etwas Neues schaffen.

HALSEY STEVENS: Es wäre natürlich unmöglich, einen alten Stil zu imitieren.

ARNOLD SCHÖNBERG: Nein – ja – das geht nicht, ja, ja.

HALSEY STEVENS: Leider ist unsere Zeit fast zu Ende, Herr Schönberg.

ARNOLD SCHÖNBERG: Aha!

HALSEY STEVENS: Ich danke Ihnen sehr, daß Sie uns dieses erste Interview gegeben haben.

ARNOLD SCHÖNBERG: Ich hatte Angst, zuviel zu reden!

HALSEY STEVENS: Im Gegenteil; es war ein Vergnügen und eine große Ehre für uns, Sie bei uns zu haben.

Interview vom Sommer 1949, gesendet auf KUSC, Sender der University of Southern California